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Neonationalsozialistische Gruppierungen

Sitz sachsenweit; Schwerpunkte in Bautzen (Landkreis Bautzen), Dresden und
Leisnig (Landkreis Mittelsachsen)
Gründung / Bestehen seit bundesweit: 1970er Jahre
Publikationen bundesweit: u. a. N.S. Heute
Sachsen: keine
Internetauftritte wechselnde Internetseiten, Blogs, Profile in sozialen Netzwerken und Messenger-Diensten
Finanzierung Beiträge der Anhänger, Spenden, Unkostenbeiträge bei Vortragsveranstaltungen, Vermarktung und Verkauf rechtsextremistischer Devotionalien wie T-Shirts o. ä.
Kurzportrait / Ziele

Neonationalsozialisten sind vor allem durch eine positive Bezugnahme auf das sog. »Dritte Reich« gekennzeichnet. Innerhalb der rechtsextremistischen Szene sind sie am stärksten ideologisch geprägt. Organisatorisch sammeln sie sich in »Kameradschaften« oder informellen Gruppen. Die strukturelle Bindung ist jedoch in den vergangenen Jahren zugunsten digitaler Vernetzungen schwächer geworden.

Relevante Ereignisse und Entwicklungen 2024:

Die einzige Demonstration der Neonationalsozialistischen Szene im Freistaat Sachsen mit einer hohen Teilnehmerzahl fand am 11. Februar in Dresden statt. Der 13. Februar als Gedenktag an die Bombardierung der Landeshauptstadt Dresden im Jahr 1945 stellt landes- und bundesweit weiterhin das Hauptereignis »historischen Gedenkens« der Neonationalsozialistischen Szene dar.

 

Die Neonationalsozialistische Szene ist gekennzeichnet durch eine auf dem historischen Nationalsozialismus fußende Weltanschauung. Abgrenzungskriterien zum subkulturell geprägten Rechtsextremismus sind der bei Neonationalsozialisten stärker ausgeprägte Wille zur politischen Arbeit sowie eine intensivere Auseinandersetzung mit inhaltlichen Aspekten des Weltbildes der Neonationalsozialisten.

Neonationalsozialisten stellen mit dieser Orientierung den ideologisch entschiedensten Teil der Szene dar und zählen damit zu den überzeugtesten Gegnern des demokratischen Rechtsstaates innerhalb des Rechtsextremismus. Kern neonationalsozialistischer Überzeugungen sind Geschichtsrevisionismus bis hin zur Holocaustleugnung, Rassismus, Antisemitismus, Nationalismus und Antipluralismus. Diese Ideologieelemente stehen im Widerspruch zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung. Für Neonationalsozialisten ist die Demokratie »die Herrschaft der Minderwertigen«. Der Staat solle nach ihren Vorstellungen stattdessen autoritär nach dem »Führerprinzip« regiert werden. Die »Volksgemeinschaft« zeichne sich durch die Überlegenheit von »Weißen« – der »arischen Rasse« – aus. Zuwanderung und Integration werden als Angriff auf die »biologische Substanz des deutschen Volkes« gewertet. Gewalt wird als ein legitimes und gebotenes Mittel der politischen Auseinandersetzung angesehen.

Nach den Verboten der Nationalen Sozialisten Döbeln im Jahr 2013 und der Nationalen Sozialisten Chemnitz (NSC) im Jahr 2014 haben neonationalsozialistische Gruppierungen auch aufgrund einer weiter fortschreitenden Digitalisierung ihre bestehenden Organisationsstrukturen weitgehend aufgegeben. Diese Entwicklung hat sich durch die Verbote der Hammerskins sowie der Artgemeinschaft – Germanische Glaubensgemeinschaft wesensgemässer Lebensgestaltung e. V. im Jahr 2023 weiter verstärkt. Statt hierarchisch strukturierter Kameradschaften oder Gruppen des »Nationalen Widerstands« dominieren virtuelle Kennverhältnisse vor Ort. Nur in Einzelfällen gibt man sich nach außen hin noch ein Label – und dies häufig auch nur aus propagandistischen Gründen. Stattdessen strukturiert sich die Szene beispielsweise über Kampagnen und Szeneveranstaltungen. So kann sie die eigene Flexibilität erhöhen und sich gleichzeitig staatlichen Exekutivmaßnahmen leichter entziehen.

Einzelne Neonationalsozialisten versuchen darüber hinaus, szeneintern neue Impulse zu setzen und bedienen sich moderner Medien, wie z. B. YouTube, X, Telegram, Tiktok, Snapchat und Instagram. In Videos und Podcasts unter Namen wie beispielsweise »Moe‘s Taverne« des Rechtsextremisten Benjamin MOSES wird die rechtsextremistische Ausrichtung der Beiträge unter dem Deckmantel intellektueller Aufarbeitung – oft nur unterschwellig – vermittelt. Dennoch greift die Szene weiterhin auch auf klassische Medien zurück. Die Zeitschrift N.S. Heute des Dortmunder Neonationalsozialisten Sascha KROLZIG präsentiert sich diesbezüglich als weltanschaulicher Wegweiser der Szene. Die Neonationalsozialistische Szene konzentriert sich inzwischen auf Aktivitäten im »vorpolitischen und nicht zwingend extremistischen Raum«: »Wenn wir nicht anfangen, alle nur denkbaren Bereiche von Sportvereinen, Schützenvereinen, Box- und Kampfsportschulen, staatlichen Strukturen, gegnerischen Strukturen etc. zielgerichtet zu unterwandern, […] werden wir auch weiterhin marginalisiert bleiben und nichts verändern können.«

Dementsprechend fokussiert man sich darauf, »Alltagssorgen« der Menschen sowie die öffentliche Diskussion bestimmende Debatten aufzugreifen und für die eigenen verfassungsfeindlichen Ziele zu instrumentalisieren.

Mit den genannten Strategien versuchen Neonationalsozialisten sowohl auf versteckte als auch auf offenkundige Art und Weise innerhalb und außerhalb der rechtsextremistischen Szene ein positives Bild über das sog. »Dritte Reich« zu vermitteln. Sie wollen damit die Geschichte umdeuten bzw. die Verbrechen des NS-Regimes relativieren oder gänzlich leugnen und auch für nicht extremistische Kreise anschlussfähig sein.

Die Neonationalsozialistische Szene unterscheidet sich vom parteigebundenen Rechtsextremismus hinsichtlich ihrer Organisationsform. So setzte sich der Trend hin zu einer Verringerung fester Strukturen in der Neonationalsozialistischen Szene infolge des Verbots der Hammerskins und der Artgemeinschaft im September 2023 weiter fort. Bereits in den vergangenen Jahren hatten sich vor allem Führungspersonen der Szene häufig für den Eintritt in rechtsextremistische Parteien, wie Die Heimat, deren Jugendorganisation Junge Nationalisten (JN) und Der Dritte Weg entschieden. Im Berichtsjahr engagierten sich bekannte Neonationalsozialisten in der Partei Freie Sachsen und kandidierten beispielsweise bei den Kommunalwahlen im Juni für diese. Auf diese Weise sollen die eigenen Aktivitäten im Schutze des im Grundgesetz festgeschriebenen Parteienprivilegs (Art. 21 GG) unbehelligt fortgeführt werden.

Wegen der Auflösung fester Szenestrukturen gewinnen insbesondere bei jüngeren Szene-Anhängern schnell einzurichtende, offene und geschlossene Gruppen oder Foren auf Messenger-Diensten und in den sozialen Medien weiter an Bedeutung. Die virtuellen Vernetzungsmöglichkeiten der Szene ergänzen das Gemeinschaftsgefühl und die Gruppenzugehörigkeit. Weiterhin etabliert sich das Internet in der Szene zunehmend als zentrales Medium, um auch in kurzer Zeit eine große Anzahl von Anhängern zu erreichen und zu mobilisieren.

Aus einer virtuellen Vernetzung heraus entstanden in der Vergangenheit auch im Freistaat Sachseneinzelne neonationalsozialistische Gruppierungen mit realweltlichen Aktivitäten. Diese lösten sichjedoch binnen kurzer Zeit wieder auf.

Im Berichtsjahr wurden sog. »Active Clubs« (AC) als »Ausweg aus der organisatorischen Schwäche des Nationalen Widerstandes« beworben. Im Beitrag »Ausweg ‚Active Club‘ Neue Wege für den Nationalen Widerstand« in der N.S. Heute #41 heißt es zum Zustand der Szene einleitend:

»Seit vielen Jahren plätschert unsere Szene quasi ziel- und planlos umher, eine wirklich zielführende Strategie konnte dieser Zeit niemand präsentieren, zudem haben sich die allgemeinen Frontlinien im politischen Kampf massiv verändert. Im Netz geben mittlerweile andere den Ton an.«

»Zwar sind viele auch mit neurechten oder AfD-Gruppen im Austausch oder arbeiten im Hintergrund an Projekten mit, aber etwas richtig ´Eigenes´ haben wir aktuell nicht vorzuweisen.«

Der Herausgeber der N.S. Heute wirbt daher in seinem Vorwort: »Die ACs fahren weltanschaulich eine klare Linie und werben für ihre Überzeugung, der politische Aktivismus steht aber nicht mehr unbedingt im Vordergrund. Das Aktivsein besteht auch aus gemeinsamen Sportübungen, Wandern, Bildung, Spaß haben und Netzwerken mit Gleichgesinnten. Mit dem ´Active Club Germania´ steht nun ein gemeinsames Dach zur Verfügung, in dem sich deutsche ACs bündeln und vernetzen können.«

Im Freistaat Sachsen konnten sich die bisher in Erscheinung getretenen »Active Clubs« namens »AC Leipzig« und »AC Westerzgebirge« nicht maßgeblich etablieren. Sie waren vordergründig über Social- Media-Kanäle aktiv, entfalteten aber kaum realweltliche Aktivitäten.

Für die Betreuung inhaftierter Rechtsextremisten trat im Jahr nach dem 2011 vollzogenen Verbot der Hilfsorganisation für nationale und politische Gefangene und deren Angehörige e. V. (HNG) die GefangenenHlfe. Info (GH) in Erscheinung. Die GH ist ein in Schweden eingetragener Verein, dessen Hauptanliegen die finanzielle Unterstützung der Inhaftierten und ihrer Familien ist (»Gemeinschaft statt Isolation«). Durch diese »Gefangenenbetreuung« sollen die Inhaftierten weiterhin an die rechtsextremistische Szene gebunden werden. Die Hilfsorganisation informiert in Internetkanälen über Gefangene und bietet ein Postfach in Schweden an, über das man an Gefangene oder Anwälte anonym Briefe versenden kann. In den vergangenen Jahren warb die GH auch bei rechtsextremistischen Veranstaltungen im Freistaat Sachsen um Spenden.

Die politische Betätigung spielt für Angehörige der Neonationalsozialistischen Szene eine wichtige Rolle. Aufgrund der nicht mehr – wie in früheren Jahren – vorhandenen organisatorischen Festigkeit der Szene sind Veranstaltungen als »Sammlungspunkte« wichtig, um über die sozialen Medien hinaus weiterhin miteinander verbunden und handlungsfähig zu bleiben.

Demonstrationen

Demonstrationen waren für die Neonationalsozialistische Szene lange Zeit das wichtigste Mittel, um ihr ideologisches Anliegen in die Öffentlichkeit zu tragen und sich gleichzeitig als Bewegung zu präsentieren. Die Anzahl der Demonstrationen der Neonationalsozialistischen Szene ist in den vergangenen Jahren allerdings stark zurückgegangen. Stattdessen wird die Organisation und Leitung von Versammlungen mittlerweile von den besser strukturierten rechtsextremistischen Parteien übernommen.

»Heldengedenken«

Von geringerer Reichweite sind traditionell die »Heldengedenken«. Dabei werden die in den Weltkriegen Gefallenen als »Helden« und »Kämpfer« im Sinne der rechtsextremistischen Ideologie propagandistisch vereinnahmt. Diese Gedenkveranstaltungen finden vor allem um den »Volkstrauertag« im November statt. Im Berichtsjahr wurden sachsenweit verschiedene kleinere »Gedenkaktionen« auch von Neonationalsozialisten ausgerichtet. Sie werden regelmäßig genutzt, um die Verbrechen des NS-Regimes auszublenden und stattdessen ausschließlich die »Kriegs- und Nachkriegsverbrechen der Alliierten« in den Mittelpunkt zu rücken.

Sonnenwendfeiern

Die Sonnenwendfeiern am 21. Juni und 21. Dezember sind feste Termine in den Kalendern von Neonationalsozialisten. Im Rahmen der Sonnenwendfeiern versuchen sie, verfassungsfeindliche Ideologieelemente mit der »Lagerfeuerromantik« dieser Feier zu verbinden. Sonnenwendfeiern wurden zu Zeiten des Nationalsozialismus als offizieller Feiertag eingeführt. Ziel war es, mit heidnischem Brauchtum christlichen oder anderen religiösen Feiertagen Konkurrenz zu machen. Gegenwärtig dienen die Feiern der Bewahrung dieses »historischen Erbes« und der Pflege des Gemeinschaftsgefühls. So fand beispielsweise am 22. Juni in Herrnhut OT Strahwalde (Landkreis Görlitz) eine Sonnenwendfeier mit ca. 200 Teilnehmern sowohl aus dem parteiungebundenen als auch aus dem parteigebundenen Spektrum statt. Dabei riefen Teilnehmer der Veranstaltung u. a. »Auf die deutsche Jugend, heil Sonnenwende«, »Schwören wir, unser Leben der Ehre Deutschlands zu widmen, heil Sonnenwende«, »Auf das deutsche Volk und auf Deutschland«, »Zu Ehre des Löbauer Soldatenführers Max Wünsche45 und all den Ritterkreuzträgern”. An dieser Sonnenwendfeier nahmen auch einzelne Mitglieder des sächsischen Landesverbandes der Jungen Alternative (JA) teil. Das LfV Sachsen geht davon aus, dass die »Neue Rechte« derartige Veranstaltungen für die Vernetzung mit Neonationalsozialsten künftig möglicherweise verstärkt nutzen könnte.

Vortragsveranstaltungen

»Zeitzeugenvorträge« waren ein wichtiges Instrument, um die rechtsextremistische Ideologie und Agitation historisch zu legitimieren. In Sachsen fanden in den vergangenen Jahren mehrere »Zeitzeugenvorträge« mit teilweise einigen hundert Teilnehmern statt. Inzwischen stehen der Szene jedoch kaum noch Zeitzeugen zur Verfügung. Im Berichtsjahr wurden keine »Zeitzeugenvorträge« im Freistaat Sachsen bekannt.

Andere Veranstaltungen werden hingegen weiterhin konspirativ organisiert. So fand am 1. Juni ein Vortragsabend unter dem Titel »Neue Wege im Bereich Kontrakultur/Aktivismus« mit einem bekannten bayerischen Rechtsextremisten in Ostsachsen statt. Auch hier wurde der Veranstaltungsort zuvor nicht offen bekannt gegeben, eine Teilnahme war nur nach vorheriger Anmeldung per Privatnachricht über die sozialen Medien möglich.

»Kampfsportveranstaltungen«

Das Interesse von Neonationalsozialisten am Kampfsport ist unverändert hoch, wenngleich im Berichtsjahr abermals keine derartigen Veranstaltungen in Sachsen stattfanden. Der Verfassungsschutz stellte auch in diesem Jahr eine Verlagerung rechtsextremistischer Kampfsportveranstaltungen ins europäische Ausland, etwa nach Frankreich, fest. Rechtsextremisten nahmen im Berichtsjahr allerdings als Kämpfer oder Zuschauer an unpolitischen Kampfsportveranstaltungen teil. Abseits größerer Veranstaltungen nutzen sie örtliche, nicht extremistische Sportund Fitnessstudios (»Gyms«), um sich verschiedene Kampfsporttechniken anzueignen. Kampfsport dient nicht nur dem wettbewerbsmäßigen Kräftemessen sowie der engen Vernetzung und Kontaktpflege, sondern unabhängig von entsprechenden Events dem Training der körperlichen Ertüchtigung für den Kampf gegen den politischen Gegner. Kampfsport bietet Neonationalsozialisten auf unkomplizierte Art und Weise die Möglichkeit, mit anderen mit der rechtsextremistischen Szene sympathisierenden Personen Kontakt aufzunehmen und diese für ihre eigenen extremistischen Aktivitäten zu begeistern.

Beteiligung an Veranstaltungen im europäischen Ausland

Alljährlich im Februar beteiligen sich Neonationalsozialisten aus Sachsen an der rechtsextremistischen Gedenkveranstaltung »Tag der Ehre« und der sich daran anschließenden rund 60 km langen Gedenkund Wandertour »Ausbruch 60« in Ungarn. Ungarische Rechtsextremisten erinnern damit an die Belagerung der Stadt Budapest durch die sowjetische Rote Armee zum Ende des Zweiten Weltkrieges sowie an den Ausbruch von mehr als 40.000 ungarischen und deutschen Soldaten am 11. Februar 1945. Während die Gedenkveranstaltung im Berichtsjahr von den örtlichen Behörden verboten wurde, fand die Gedenkwanderung – eine Art Leistungsmarsch mit unterschiedlicher Streckenlänge – mit über 2.000 Teilnehmern statt. Die Veranstaltung bietet deutschen Neonationalsozialisten regelmäßig die Möglichkeit, sich mit Rechtsextremisten aus dem europäischen Ausland zu vernetzen.

Landeshauptstadt Dresden

Der 13. Februar als Gedenktag an die Bombardierung der Landeshauptstadt Dresden im Jahr 1945 stellt weiterhin landes- und bundesweit das Hauptereignis »historischen Gedenkens« der Neonationalistischen Szene dar. Das Narrativ eines Bombenholocausts wird dabei seit Jahren hochgehalten und dient der Relativierung des Holocausts sowie einer Täter-Opfer-Umkehr. Unter dem Motto »Gedenken an die Opfer der angloamerikanischen Luftangriffe! Wir fordern ein würdiges Denkmal in der Innenstadt!« führten am 11. Februar ca. 940 Rechtsextremisten in Dresden (2023: ca. 670) ihren sog. »Trauermarsch« durch. Anmelder war erneut der in den Landkreis Mittelsachsen zugezogene Rechtsextremist Lutz GIESEN. Aufgrund des starken Gegenprotestes musste die Aufzugsstrecke verkürzt werden. Auch die Abschlusskundgebung am Hauptbahnhof fand im Lärm des Gegenprotests statt, woraufhin diese Personen vom Leiter der rechtsextremistischen Versammlung als »Pfeifen«, »Geschichtsvergessene«, »Vaterlandsverräter« und »Schwachköpfe« beschimpft wurden. Ein Redner leugnete in seinem Beitrag unter dem Titel »Freispruch für Deutschland« die Schuld Deutschlands am Ausbruch des Zweiten Weltkriegs. Am Gedenkmarsch beteiligten sich neben parteiungebundenen Rechtsextremisten auch Vertreter der rechtsextremistischen Parteien Der Dritte Weg, Freie Sachsen und Die Heimat. Im Gegensatz zu den Vorjahren waren vor allem wegen der Teilnahme der Jugendorganisationen Nationalrevolutionäre Jugend (NRJ) und Junge Nationalisten (JN) auffallend viele junge Rechtsextremisten beim Gedenkmarsch vertreten.

Landkreis Bautzen

Im Landkreis Bautzen ist die neonationalsozialistische Gruppierung Balaclava Graphics aktiv, die durch den Rechtsextremisten Benjamin MOSES angeführt wird. Seit Jahren stellt dieser Online- Plattformen u. a. für die Mobilisierung für Versammlungen zur Verfügung. Balaclava Graphics warb auch im Berichtsjahr in den sozialen Medien (Instagram, Telegram, Facebook, X, YouTube, TikTok) für Veranstaltungen und berichtete anschließend über diese. Die Szene wiederum nutzt diese Plattformen für entsprechende Kommentare. Weiterhin bietet MOSES überregional die grafische Gestaltung von Werbe-Flyern und Covern an, die u. a. von rechtsextremistischen Bands genutzt werden.

Die Gruppierung Balaclava Graphics, die sich selbst als »Das rechte Medienkollektiv aus der Oberlausitz« bezeichnet, begleitete im Berichtsjahr verschiedene rechtsextremistische Veranstaltungen, u. a. den »Trauermarsch« der Neonationalsozialistischen Szene am 11. Februar in Dresden, die »Heldengedenken« am 22. April in Niederkaina sowie am 17. November in Göda und Görlitz (Landkreis Görlitz) medial und veröffentlichte entsprechendes Bild- und Videomaterial in den sozialen Medien. Zudem wurde auf den Social-Media-Kanälen von Balaclava Graphics wie im Vorjahr für die wöchentlichen Protestveranstaltungen in Bautzen geworben und anschließend über das Veranstaltungsgeschehen berichtet sowie Fotos und Videos veröffentlicht.

Ferner führte Balaclava Graphics im Berichtsjahr eigene Veranstaltungen durch bzw. mobilisierte für diese. So fand u. a. am 1. Juni in Görlitz eine Vortragsveranstaltung mit einem bekannten bayerischen Rechtsextremisten zum Thema »Neue Wege im Bereich Kontrakultur/Aktivismus« sowie am 15. Juni eine »Sommerwanderung« in der Oberlausitz statt. Diese wurde als »Offen für alle! Egal wie alt, egal aus welchen Strukturen!« beworben und von der rechtsextremistischen Szene als Erfolg gewertet. Derartige Veranstaltungsformate werden innerhalb der rechtsextremistischen Szene aktuell häufiger angeboten, dienen ihr zur Vernetzung und zur Stärkung des Gemeinschaftsgefühls.

Die Neonationalsozialistische Szene im Raum Bautzen führte auch im Berichtsjahr sog. »Heldengedenken« durch:

Am 22. April gedachten in Niederkaina ca. 70 Personen der im Zweiten Weltkrieg von der Roten Armee getöteten Angehörigen des »Volkssturms«. Sie führten schwarze Fahnen mit und begaben sich in Zweierreihen zur Gedenktafel. Im Anschluss an diverse Redebeiträge legten sie dort ein Blumengebinde nieder. Unter den Teilnehmern befand sich auch MOSES, der analog des Vorjahres auch Anmelder dieser Veranstaltung war.

Anlässlich des Volkstrauertages am 17. November gedachten auf dem Soldatenfriedhof in Göda mindestens 90 Personen der deutschen Opfer des Zweiten Weltkrieges. Die Teilnehmer führten auch dort schwarze Fahnen mit und legten Blumen nieder. Neonationalsozialisten aus dem ostsächsischen Raum beteiligten sich zudem an einer weiteren Gedenkveranstaltung am 19. November in Görlitz mit ca. 80 Teilnehmern. Diese führten Fackeln mit und begaben sich in Zweierreihen zum Gedenken. Bereits am Vortag hatten Rechtsextremisten in Ostsachsen »traditionsgemäß« Kriegsgräberstätten gereinigt, so zum Beispiel in Göda und Kodersdorf-Mückenhain (Landkreis Görlitz).

Balaclava Graphics berichtete im Nachgang u. a. auf seinen Social-Media-Kanälen über diese Veranstaltungen.

Einzelne, der Subkulturell geprägten rechtsextremistischen Szene im ostsächsischen Raum angehörige Personen sind über entsprechende Kennverhältnisse mit der Neonationalsozialistischen Szene in Ostsachsen mehr oder weniger eng vernetzt. So unterstützen sie sich gegenseitig durch die Teilnahme an Veranstaltungen, wie beispielsweise den »Heldengedenken«, dem sog. »Trauermarsch« in Dresden anlässlich des 13. Februars oder bei rechtsextremistischen Konzerten.

Landkreis Mittelsachsen

Durch die gezielte gemeinsame Ansiedlung von Rechtsextremisten im ländlichen Raum wird die Bildung rechtsextremistischer, realweltlicher Netzwerke mit Bezügen u. a. zur Neonationalistischen Szene begünstigt. Die in der medialen Berichterstattung als »Völkische Siedler« bezeichneten Rechtsextremisten pflegen eine naturorientierte ländliche Lebensweise auf der Basis einer völkisch-nationalistischen Ideologie. In Sachsen ist insbesondere eine Ansiedlung von einzelnen untereinander eng verbundenen Rechtsextremisten mit ihren Familien in Leisnig bekannt. Seit Februar 2020 warben Rechtsextremisten auch unter dem Label »Initiative Zusammenrücken« für weitere Ansiedlungen im mitteldeutschen Raum. Am 28. September 2023 gab die Initiative jedoch – mutmaßlich aufgrund des Verbots der Artgemeinschaft – die Einstellung ihrer Aktivitäten mit sofortiger Wirkung bekannt. In ihrer hierzu veröffentlichten Erklärung betonte die Initiative, dass sie »in der gegenwärtigen Lage einzig die Strategie der Sammlung für erfolgsversprechend erachte. Und diese Sammlung muss in Mitteldeutschland stattfinden.«

Maßgebliche Akteure haben sich in der Folge den Freien Sachsen zugewandt und im Juni für diese Partei bei den Kommunalwahlen kandidiert. Ihre seit 2021 unregelmäßig stattfindenden Versammlungen in Leisnig meldeten sie im Berichtsjahr erstmalig für die Freien Sachsen statt als Privatpersonen an.

Landkreis Zwickau

In der Region Zwickau wurden 2024 von angestammten und zugezogenen Rechtsextremisten gezielte Vernetzungs- und Siedlungsbestrebungen verfolgt. Dabei geht es um den Zuzug von Personen mit einer neonationalsozialistischen Ideologie. Sie verfolgen das Ziel, zum Zwecke der Ressourcenbildung und des Kontaktgewinns in etablierte rechtsextremistische Parteien einzutreten. So schrieb einer der führenden Protagonisten in den sozialen Medien: »Unser Ziel für Zwickau ist es erstmal, in Bezug auf die politischen Feinde, diese aus dem ganzen Landkreis rauszujagen … und sie nachhaltig aus ihren bisherigen Positionen und Ämtern zu entfernen.« Ein anderer Protagonist schrieb: »Wir gründen morgen einen Verein, um Geldflüsse kontrollieren zu können. Ab dann werden wir von all denen, die Geld verdienen, Beiträge erheben, um unsere Aktivitäten finanzieren zu können«. Das dabei in Rede stehende rechtsextremistische Personenpotenzial verfügt teilweise über Bezüge zum vom Bundesinnenminister im Jahr 2020 verbotenen Verein »Nordadler«.

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