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Jihadistischer Salafismus

Deutschlandweit und somit auch im Freistaat Sachsen befinden sich jihadistisch ideologisierte Personen in Haft. Hierbei handelt es sich z. B. um jihadistisch motivierte Personen, die in die IS-Gebiete ausgereist waren, dort aufgegriffen und nach Deutschland überstellt wurden, um hier Haftstrafen zu verbüßen. Eine weitere Gruppe sind Jihadisten, die sich in Deutschland radikalisierten und wegen Staatsschutzdelikten verurteilt wurden.
Wie der Anschlag in Dresden am 4. Oktober 2020 zeigte, kann von diesen Personen auch nach ihrer Haftentlassung im Einzelfall eine hohe Gefahr für die Gesellschaft ausgehen.

Die wichtigste Organisation, welche zurzeit den jihadistischen Salafismus beeinflusst, ist der sog. Islamische Staat (IS). Ursprünglich aus der Terrororganisation Al-Qaida hervorgegangen, gelang es dem IS im Jahr 2014 unter seinem damaligen Anführer AL-BAGHDADI ein ausgedehntes Territorium mit einer Millionenbevölkerung zu erobern, welches weite Gebiete im Irak und Syrien umfasste. Darüber hinaus wurden IS-Splittergruppen u. a. auf dem Sinai, in Pakistan und Afghanistan sowie in Libyen gegründet. Mit der Rückeroberung der irakischen Großstadt Mossul durch irakische Sicherheitskräfte im Juli 2017 verlor der IS nach und nach seine wichtigsten organisatorischen Zentren und Gebiete. In der Schlacht von Baghuz im März 2019 musste der IS das letzte von ihm kontrollierte Territorium aufgeben. Das territoriale Kalifat in Syrien und im Irak wurde damit besiegt. Jedoch verfügt die Terrororganisation im Irak und in Syrien weiterhin über Stützpunkte im Untergrund sowie über Kämpfer, Unterstützer und Sympathisanten. Dies, obwohl im Februar 2022 zuerst ABU IBRAHIM AL-HASHIMI AL-QURASHI, der Nachfolger des ersten „Kalifen“ ABU BAKR AL-BAGHDADI, bei einer Spezialoperation der US-Streitkräfte getötet wurde und nur ca. neun Monate später wiederum dessen Nachfolger, ABU AL-HASAN AL-HASHIMI AL-QURASHI. Die fortbestehende Relevanz des IS wird z. B. deutlich durch weiterhin verbreitete Audiobotschaften. So rief z. B. der offizielle Sprecher des IS, ABU UMAR AL-MUHAHJIR, am 17. April dazu auf, die angeblich „instabile“ Lage in Europa infolge des Ukraine-Krieges auszunutzen, um Terroranschläge zu verüben. Auch im Vorfeld der FußballWeltmeisterschaft in Qatar ermutigte ein IS-naher Telegramkanal im November dazu, Anschläge spezifisch auch auf Fußballfans aus Nationen wie z. B. Frankreich, Belgien oder Kanada zu verüben, da diese Staaten in die Anti-IS-Allianz eingebunden seien.

Die Gefahr, welche der IS in Syrien noch immer darstellt, zeigte sich z. B. Ende Januar. In den „späten Nachtstunden“ unternahm der IS einen gut geplanten komplexen Angriff auf ein durch kurdische Streitkräfte geführtes Gefängnis mit inhaftierten IS-Kämpfern. Zeitgleich zum Angriff war ein Aufstand der IS-Gefangenen koordiniert worden. Die Kämpfe zwischen den IS-Anhängern und den Kurden – unterstützt durch US-amerikanische Luftschläge – dauerte über eine Woche und führte zu über 500 Toten. Trotz dieses Vorfalls und des fortgeführten Agierens im Untergrund ist der IS weit davon entfernt, größere Territorien zu kontrollieren. Auch die weiterhin rückläufigen Ausreisezahlen potenzieller Unterstützer in die ehemaligen Kampfgebiete des Mittleren Ostens zeigen, dass diese Terrororganisation viel von ihrer früheren Sogwirkung verloren hat.

Dass der IS bzw. dessen Unterstützer und Sympathisanten jedoch auch außerhalb Syriens bzw. des Iraks willens und in der Lage waren, Anschläge auszuführen, wurde auch im Berichtsjahr deutlich. Vor allem Ableger des IS führten in einer Vielzahl von Ländern mit schwacher Staatlichkeit weiterhin Anschläge mit hohen Opferzahlen durch. Trotz der Rückschläge des Kern-IS in Syrien und Irak hat keiner seiner regionalen Ableger den Treueeid auf den IS widerrufen. Stattdessen werden gerade in diesen Ländern neue Generationen jihadistisch motivierter Terroristen ausgebildet und führen verheerende Anschläge aus, wie etwa am 4. März, als ein Mitglied des IS-Ablegers im Raum Afghanistan Sicherheitsleute vor einer schiitischen Moschee in Peshawar/Pakistan erschoss, sich dann im Inneren der Moschee in die Luft sprengte und so weitere 62 Menschen mit in den Tod riss.

Aber auch in westlichen Ländern mit einer sehr professionellen Sicherheitsstruktur ist die Gefahr durch jihadistisch motivierte Terroranschläge nicht gebannt. Dies wurde z. B. im März in Israel deutlich. So wurden bei zwei Anschlägen insgesamt sechs Menschen getötet. In Hadera ermordeten zwei Anhänger des IS zwei Polizisten, bevor sie von Sicherheitskräften erschossen wurden. Der IS bekannte sich zu diesem Anschlag und veröffentlichte ein Video, welches die Treueschwüre der Terroristen auf den neuen Kalifen zeigte. In Be‘er Sheva ermordete ein IS-Anhänger drei Menschen mit einem Messer und eine Person mit einem Fahrzeug, bevor er von Passanten erschossen wurde. Der Täter, ein arabischer Israeli, war laut Medienberichten aufgrund der Verbreitung von IS-Propaganda an Schulkinder sowie aufgrund von IS-Verbindungen im Jahr 2015 zu vier Jahren Haft verurteilt worden.

Auch Europa blieb im Jahr 2022 von mutmaßlich jihadistisch motivierten Anschlägen nicht verschont. Am 25. Juni eröffnete beispielsweise ein iranischstämmiger Norweger in Oslo im Vorfeld von „Oslo Pride“ das Feuer in verschiedenen Bars, die u. a. von Homosexuellen frequentiert wurden. Hierbei tötete er zwei Männer und verletzte zwanzig weitere, bevor er festgenommen wurde. Laut Polizei handelte es sich bei dem Täter um eine islamistisch radikalisierte Person, die bereits im Vorfeld durch Kontakte zu einem IS-nahen islamistischen Prediger aufgefallen war und zudem als psychisch labil galt. Die Staatsanwaltschaft wirft ihm vor, in terroristischer Absicht Mord und versuchten Mord begangen zu haben. Das Verfahren ist aktuell noch nicht abgeschlossen.

Dass auch in Deutschland die Gefahr von jihadistisch motivierten Anschlägen weiterhin hoch ist, zeigte die Festnahme eines mutmaßlichen Unterstützers des sogenannten IS in Iserlohn (NordrheinWestfalen) am 22. September. Laut Pressemeldungen handelte es sich bei dem Beschuldigten um einen radikalisierten jugendlichen kosovarisch-deutschen Staatsbürger. Dieser stand im dringenden Verdacht, in zwei Fällen eine terroristische Vereinigung im Ausland zu unterstützen sowie eine schwere staatsgefährdende Gewalttat vorzubereiten. Konkret soll er verübte Terroranschläge des IS in Europa befürwortet und unter Einfluss von IS-Propaganda einen Anschlag mit einem Sprengsatz geplant haben. Davon sei er jedoch abgerückt und habe dann einen Messerangriff auf Polizeibeamte favorisiert.

Ein richterliches Urteil erfolgte am 22. Dezember im Prozess gegen einen Syrer, der am 6. November 2021 in einem ICE auf der Fahrt von Regensburg nach Nürnberg vier männliche Passagiere mit einem Messer schwer verletzte. Der Täter wurde anschließend widerstandslos von der Polizei festgenommen. Wurde bei den Ermittlungen anfangs angenommen, der Syrer sei aufgrund seines psychischen Zustandes nicht schuldfähig gewesen, übernahm später die Bayerische Zentralstelle zur Bekämpfung von Extremismus und Terrorismus (ZET) die Ermittlungen. Bei der Auswertung der sichergestellten Datenträger wurden Propaganda-Videos der Terrororganisation IS gefunden. Das Oberlandesgericht München sah den Täter in der Folge als voll steuerungsfähig an und verurteilte den Syrer zu einer 14-jährigen Haftstrafe.

Im Berichtsjahr ereigneten sich in Sachsen keine islamistisch motivierten Anschläge.

Wie in den Jahren zuvor erhielt das LfV Sachsen jedoch weiterhin eine Vielzahl von Hinweisen mit Bezug zum jihadistischen Salafismus. Die Spannweite reichte hierbei von unplausiblen Beschuldigungen bis hin zu wertigen Sachverhalten. Die Bearbeitung der Hinweise erfolgte in engem Austausch mit dem Landeskriminalamt (LKA) Sachsen, dem Gemeinsamen Terrorismusabwehrzentrum (GTAZ) sowie mit europäischen und internationalen Sicherheitsbehörden.

Nach dem Verlust des Herrschaftsgebietes des IS liegen den Sicherheitsbehörden Erkenntnisse zu aus Deutschland ausgereisten Personen vor, die sich aktuell in Syrien oder im Irak in Haft bzw. in Gewahrsam befinden. Zur Mehrheit dieser Personen wurde bekannt, dass sie beabsichtigen, nach Deutschland zurückzukehren.

Rückkehrer aus den jihadistischen Kampfgebieten stellen ein potenzielles Sicherheitsrisiko dar. Von besonderer Relevanz sind hierbei Personen, von denen bekannt ist, dass sie ideologisch indoktriniert sind, militärisch im Umgang mit Waffen und Sprengstoff geschult wurden und/oder Kampferfahrungen sammeln konnten. Grundsätzlich könnten diese Rückkehrer als „Veteranen des Kalifats“ eine neue Dynamik in der salafistischen Szene in Deutschland auslösen.

Einzelfallspezifisch werden von den beteiligten Behörden in Betracht kommende Maßnahmen erörtert und abgestimmt. Diese schließen eine strafrechtliche Verfolgung ebenso ein wie Maßnahmen zur Deradikalisierung und schließlich zur gesellschaftlichen Reintegration. Ziel ist insoweit ein ganzheitlicher Ansatz. Hierbei ist die Zusammenarbeit zwischen den Ländern und der Polizei sowie beispielsweise mit den Jugend-, Sozial-, Schul- und Gesundheitsbehörden von besonderer Bedeutung. Dies gilt insbesondere im Hinblick auf die heterogene Zusammensetzung der Rückkehrer, zu denen beispielsweise auch Minderjährige und Frauen gehören.

Öffentlichkeitswirksam wurde zum Beispiel die Rückführung von zehn mutmaßlichen Jihadistinnen und 27 Kindern Ende März 2022. Der Generalbundesanwalt ließ vier Frauen direkt nach ihrer Ankunft am Frankfurter Flughafen festnehmen. Darunter befand sich Nadine K. aus Idar-Oberstein (Rheinland-Pfalz). Sie war im Dezember 2014 ihrem Ehemann nach Syrien gefolgt. Dort schlossen sie sich dem sogenannten IS an. In ihrem Haus lagerten sie u. a. Waffen. Ab Frühjahr 2016 hielten sie sich eine jesidische Frau als Sklavin. Die Frau wurde regelmäßig vergewaltigt. Ab März 2019 befand sich Nadine K. in kurdischer Gefangenschaft, im März erfolgte schließlich ihre Rückführung nach Deutschland. Ende September 2022 erhob die Bundesanwaltschaft Anklage u. a. wegen Beihilfe zum Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen. Der Prozess vor dem Oberlandesgericht Koblenz begann im Januar 2023.

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