ANARCHISTISCHE GRUPPIERUNGEN
Struktur und politische Zielsetzung
Die Anarchistischen Gruppierungen in Sachsen fordern die Auflösung des demokratischen Rechtsstaates zugunsten einer herrschaftsfreien Gesellschaft. In ideologischer Hinsicht sind bei ihnen fließende Übergänge zu ähnlichen oder verwandten linksextremistischen Gruppierungen, wie den Autonomen, feststellbar. Insbesondere der Anarchosyndikalismus weist jedoch im Gegensatz zu den Autonomen einige spezielle Merkmale, wie einen höheren Organisationsgrad, auf. Allein schon dadurch können sich Anarchistische Gruppierungen deutlich von den Autonomen unterscheiden.
Organisationsgebundene und -ungebundene Anarchisten sind im Freistaat Sachsen hauptsächlich in Dresden und Leipzig vertreten.
Rolle der Gewalt
Anarchisten sehen sich analog zu Autonomen als Opfer von staatlicher Gewalt, ausgeübt durch die sog. »Repressionsorgane« Polizei und Justiz. Eigene Gewaltausübung halten sie deshalb für ein legitimes Mittel der politischen Meinungsäußerung. Aus ihrer Sicht gibt es bestimmte politische Anliegen, die den Einsatz von Gewalt ausdrücklich rechtfertigen.
Als Hommage an einen griechischen Anarchisten, der bei einer unbeabsichtigten Explosion eines selbst hergestellten Sprengsatzes getötet wurde, brachten Anarchisten in Leipzig ein Banner mit der Aufschrift »Gefährte, ich werde dich in den brennenden Straßen sehen, wo du für immer leben wirst. Gesundheit und Freiheit für Marianna, Dimitra und die anderen verfolgten Anarchist:Innen des 31.10. in Athen. [Anarchie-Symbol]« 139 an. Die Aktion wurde u. a. auf der linksextremistischen Online-Plattform de.indymedia.org beworben: »Kyriakos wird von seinen Gefährt*innen als kämpferisch und freiheitsliebend beschrieben. Als ein Mensch, welcher sein Leben dem anarchistischen Kampf widmete und stets engagiert an der Seite seiner Verbündeten stand. Die Erinnerung an Kyriakos […] wird von nun an immer Teil unseres Kampfes gegen Herrschaft, Staat und Unterdrückung sein. Du bleibst unvergessen und wirst für immer einen Platz in unseren flammenden Herzen der Freiheit haben! […] Ein Tod in Aktion ist eine ewige Aufforderung zum Kampf!«
Demgegenüber lassen organisationsgebundene Anarchistische Gruppierungen, wie die Freie Arbeiter*Innen-Union (FAU) und das Anarchistische Netzwerk Dresden (AND), die Frage nach der Anwendung von Gewalt als legitimem Mittel zur Erreichung ihrer politischen Ziele offen, ziehen jedoch Parallelen zwischen ihrem hiesigen »Kampf« und potenziell gewalttätigen Mitstreitern im Ausland. Die FAU Dresden bewarb beispielsweise im Oktober eine Vortragsveranstaltung mit »Genoss*innen« der besetzten Gemeinschaft Prosfygika in Athen, die sich als »Teil des klassenkämpferischen, sozialen und internationalistischen Kampfes gegen Staat und Kapital« sehen. Mit der Versammlung habe man »die Chance, aus der langen Geschichte des Widerstands der Gemeinschaft von Prosfygika für unsere Kämpfe zu lernen und lokale und internationale Kämpfe zu verbinden«. Ein gleichgelagertes Anliegen verfolgte das AND bei der Ausrichtung der »Anarchistischen Tage« unter dem Motto »Unser Kampf um Freiheit kennt keinen Frieden!«, wobei eine Vielzahl von anarchistischen Perspektiven zu internationalen Konflikten als Programmpunkte aufgeführt wurden.
| Sitz | Krefeld (Nordrhein-Westfalen) Geschäftskommission der FAU | |||||||||
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| Gründung | 1977 | |||||||||
| Hauptorganisation/ übergeordnete Gruppierung |
Freie Arbeiter*innen-Union (FAU) | |||||||||
| Teilorganisationen in Sachsen |
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| Internetauftritte | Internetseiten sowie Profile der vorgenannten sächsischen Syndikate in den sozialen Medien | |||||||||
| Publikation | »Direkte Aktion« (Onlinezeitung, unregelmäßig) | |||||||||
| Personenpotenzial/ Mitgliederentwicklung |
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| Finanzierung | Mitgliedsbeiträge | |||||||||
| Kurzporträt/Ziele |
Die FAU versteht sich als ein Zusammenschluss von lokalen, unabhängigen, basisdemokratischen Gewerkschaften, den Syndikaten. Sie bezeichnet sich selbst als »klassenkämpferische Gewerkschaftsföderation«. Die in der FAU vereinten Syndikate bilden die mitgliederstärkste anarchistische Organisation in Deutschland. In Sachsen ist sie spätestens seit Mitte der 1990er-Jahre aktiv. |
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| Ereignisse/ Entwicklungen 2024 |
FAU Leipzig und FAU Dresden sind die aktivsten sächsischen Syndikate. Organisation eigener Versammlungen im Gewerkschaftsbereich und Beteiligung an Demonstrationen mit linksextremistischer Thematik. |
Das Ziel der FAU ist die Beseitigung der bestehenden Staats- und Gesellschaftsordnung. In ihrer Zeitschrift »Direkte Aktion«, die sich nach eigenen Angaben »auf die Grundlage des Klassenkampfes stützt«, heißt es dazu unmissverständlich: »Wir Anarcho-SyndikalistInnen haben die herrschaftslose, ausbeutungsfreie, auf Selbstverwaltung begründete Gesellschaft zum Ziel. Die Selbstbestimmung in allen Lebensbereichen ist die grundlegende Idee des Anarcho-Syndikalismus. […] Zur Durchsetzung unserer Ziele und Forderungen dienen uns sämtliche Mittel der direkten Aktion, wie z. B. Besetzungen, Boykotts, Streiks etc. Im Gegensatz dazu lehnen wir die parlamentarische Tätigkeit in jeglicher Form ab.« Mit diesem Selbstverständnis steht die FAU im Widerspruch zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung.
In ihrem Grundlagentext »Prinzipien und Grundlagen der Arbeit der Freien Arbeiter*innen- Union (FAU)« wird das Ziel der »Überwindung des Kapitalismus« manifestiert, da dieser »auf der Ausbeutung durch diejenigen beruht, die über die Produktionsmittel verfügen«.
Außerdem zielt die FAU darauf ab, den Staat zu zerschlagen und an dessen Stelle eine »Föderation der Syndikate« (basisdemokratische Gewerkschaften) treten zu lassen. Das »Syndikat« wird als tragende Organisationseinheit des revolutionären Kampfes in einer anarchistischen Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung angesehen, die im Widerspruch zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung steht.
Vor allem im Rahmen öffentlicher Aktionen versuchen die Akteure, ihre extremistischen Zielsetzungen zu verbreiten und so neue Anhänger zu gewinnen. Indem sich die FAU vordergründig als gewerkschaftsähnliche Organisation darstellt, wird verschleiert, dass sie die Abschaffung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung anstrebt.
Außerdem nimmt das Themenfeld »Antirepression« bei Anarchisten der FAU einen hohen Stellenwert ein, indem beispielsweise das »Knastsystem« der Bundesrepublik Deutschland infrage gestellt wird.
Die etablierten Strukturen bestanden im Berichtsjahr bei konstanten Mitgliederzahlen fort.
Anarchosyndikalistische Gruppen treten im Freistaat Sachsen mit eigenen Aktionen öffentlich auf oder beteiligen sich an Demonstrationen mit linksextremistischer Thematik. Dabei zeigten sich im Berichtsjahr jedoch regionale Unterschiede zwischen den FAU-Akteuren, was sowohl den Umfang und die Intensität von Aktionen als auch die Wahl der Mittel betraf.
Räumliche Schwerpunkte:
Dresden
Die Präsenz des mitgliederstarken Allgemeinen Syndikats Dresden der FAU (FAU Dresden) spiegelte sich im Berichtsjahr erneut in den sozialen Medien wider. Um ihren Bekanntheitsgrad und ihre Akzeptanz in der Öffentlichkeit zu erhöhen, beteiligte sich die FAU Dresden vornehmlich an sozialkritischen, nicht extremistischen Protesten unter Einsatz ihrer schwarz-roten/schwarz-lila Fahnen sowie von Transparenten. Im jährlich wiederkehrenden Versammlungsgeschehen »Anarchistischer 1. Mai« war die FAU erneut mit eigenen Fahnen sowie nach der Demonstration mit einem Informationsstand vertreten. Im Anschluss eröffnete das Dresdner Syndikat zudem feierlich ein neues Gewerkschaftslokal in Dresden-Pieschen.
Außerdem bot die FAU Dresden Unterstützung bei arbeitsrechtlichen Konflikten an. Diese äußerte sich in regelmäßig stattfindenden Sprechstunden sowie in der Organisation juristischen Beistands für Betroffene bei Arbeitskämpfen und durch einschlägige Kundgebungen, wie beispielsweise am 6. Januar in Olbernhau (Erzgebirgskreis) anlässlich des Verfahrens eines FAU-Mitglieds gegen ein Stromversorgungsunternehmen.
Leipzig
Dieses Jahr zementierte die FAU Leipzig ihre Rolle in der Anarchistischen Szene in Leipzig durch die erstmalige Organisation einer eigenen anarchistischen 1. Mai-Demonstration unter dem Motto »Revolution ist Alltagssache! Die neue Gesellschaft in der Schale der Alten aufbauen«. Es beteiligten sich in der Spitze ca. 1.500 Personen. Mehrere Teilnehmer trugen anarchistische Fahnen bzw. Fahnen der FAU. Angaben der FAU zufolge wurden mehrere Reden verlesen, darunter ein Beitrag der FAU Sektion Erzgebirgskreis. Diese thematisierten die Arbeitskämpfe, welche man solidarisch unterstütze. Es wurden außerdem verschiedene Parolen angestimmt, wie »Amore, Anarchia, Autonomia« und »Freiheit entsteht als kämpfende Bewegung, für mehr Staatszerlegung«. Die FAU Leipzig zelebrierte die Aktion in den sozialen Medien als die »bisher größte Demonstration der FAU – bundesweit!«.
Im Berichtszeitraum führte die FAU Leipzig auch öffentlichkeitswirksame Aktionen für eigene Mitglieder durch. Wie in den Vorjahren unterstützte sie im Rahmen von Kundgebungen Arbeitskämpfe ihrer Mitglieder beispielsweise im Gastronomiegewerbe und berichtete zudem in den sozialen Medien ausführlich über anhängige bzw. abgeschlossene Verfahren bei Arbeitsgerichten. Um ihren Bekanntheitsgrad und ihre Akzeptanz in der Öffentlichkeit weiter zu erhöhen, bietet die FAU Leipzig regelmäßige Beratungen in ihrem Büro an.
Die FAU Syndikate Leipzig und Dresden bleiben hinsichtlich ihres Aktions- und Mitgliederpotenzials einander ebenbürtig. Unverändert macht die FAU insbesondere durch die Unterstützung lokaler Arbeitskämpfe sowie die Mobilisierung für und Teilnahme an öffentlichkeitswirksamen Veranstaltungen, wie am 1. Mai, auf sich aufmerksam. Im Berichtsjahr forcierten die Dresdner und Leipziger Syndikate strategische Kooperationen mit anderen lokalen Anarchisten mit dem Ziel, die Anschlussfähigkeit der anarchistischen Bewegung weiter zu steigern. Ihr Aktionsradius konzentrierte sich weiter vorrangig auf die urbanen Zentren. Dort sind die Syndikate schwerpunktmäßig mit Beratungen und Versammlungen im Bereich prekärer Beschäftigungsverhältnisse aktiv, was ihrem Verständnis von anarchosyndikalistischer »Basisarbeit« entspricht.
| Sitz | Dresden |
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| Gründung/Bestehen | seit 2014/2015 aktiv |
| Hauptorganisation/ übergeordnete Gruppierung | Anarchistisches Netzwerk Dresden (AN D) |
| Teilorganisationen | Im Rahmen des AND sind »Gruppen und Einzelpersonen« aktiv, darunter auch das Anarchist Black Cross Dresden (ABC Dresden) |
| Internetauftritte/ Publikationen | Internetseite sowie Profile in den sozialen Medien |
| Personenpotenzial/ Mitgliederentwicklung | ca. 10 Personen |
| Finanzierung | u. a. Spenden |
| Kurzporträt/Ziele |
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| Ereignisse/ Entwicklungen 2024 |
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Die öffentlichkeitswirksamste Veranstaltung der Dresdner Anarchistischen Szene stellte der »Anarchistische 1. Mai« dar. Wie bereits in den Vorjahren kooperierte das AND mit der Dresdner FAU bei deren Organisation und Durchführung. Der Demonstrationszug zog zunächst mit 200 Teilnehmern durch die Dresdner Innenstadt und war aufgrund der mitgeführten Transparente und Banner eindeutig der linksextremistischen Anarchistischen Szene zuzuordnen. So trug das Frontbanner die Aufschrift »Gemeinsam für den Anarchismus«, und auf weiteren Transparenten hieß es »Gegen Bullenstaat und Patriarchat«, »Krise hat System! Als Klasse kämpfen – Kapitalismus überwinden« und »Zuhause, im Betrieb und auf der Straße – Wir werden kämpfen bis alle frei sind!«. Außerdem war eine Vielzahl von für Anarchisten typischen Fahnen zu sehen. Die Demonstration mündete schließlich in einer Kundgebung in der Dresdner Neustadt mit einem Aufgebot an Informationsständen dieser Szene.
Eine Kontinuität ihrer Aktivitäten war außerdem beim Veranstaltungsformat »Anarchistische Tage« zu erkennen, welches vom AND zum nunmehr siebten Mal vom 16. bis 22. September organisiert wurde. Unter dem diesjährigen Motto »Unser Kampf um Freiheit kennt keinen Frieden!« fanden Vorträge und Workshops in Dresden statt. Außerdem gab es Informations- und Buchstände. Bereits in dem im Internet verbreiteten Aufruf schrieb die »Orga-Crew«, man sei sich »sicher, durch die Anarchistischen Tage einen weiteren Beitrag zum Aufbau der anarchistischen Bewegung in der Region und auf internationaler Ebene« leisten zu können. Das Format richtete sich sowohl an etablierte Anarchisten als auch an neue Szeneangehörige, die mithilfe von Veranstaltungen wie »Introduction to Anarchism« und »State & me? – for more anarchism in our lives!« an die verfassungsfeindliche Ideologie herangeführt werden konnten. Unter den angekündigten Programmpunkten befand sich außerdem der Vortrag »Revolutionäre Gewerkschaftsbewegung – Der Weg aus Rechtsruck und Klimakatastrophe?« von der Dresdner FAU, welcher »eine Einführung in die theoretischen und organisatorischen Grundlagen der Bewegung« geben sollte. Mittels seiner zentralen Stellung in der Anarchistischen Szene Dresden konnte das AND somit eine Vielzahl regionaler, überregionaler und internationaler Themen in einer Veranstaltungswoche bündeln.
Diese Vernetzungskraft des AND wurde außerdem sichtbar durch seine Vortragsankündigungen zu den »Anarchistischen Tagen« im April in Göttingen (Niedersachsen) und im Mai in Leipzig. Für das AND ist die Durchführung solcher Theorieveranstaltungen erforderlich, um für die Notwendigkeit des Anarchismus im Lichte globaler Krisen argumentieren zu können. In mehreren Texten auf seiner Internetseite heißt es: »Doch die heutigen Unterdrückungssysteme lassen sich nicht durch Wahlen langsam abbauen und verändern. […] Deshalb gehört zum Anarchismus auch eine Revolution, der Sturz der Obrigkeit, um eine freie Gesellschaft zu schaffen. […] Wir geben unsere Macht nicht an Lobbyist*innen oder Politiker*innen ab, wir versuchen nicht, durch Petitionen oder die Gründung einer neuen Partei etwas zu verändern. Wir handeln selbst. Sei es durch Streiks, Sabotage, Selbstorganisation oder Besetzungen, was immer nötig ist, um eine sozial- und klimagerechte Welt zu schaffen.«
Das AND und das mit ihm verbundene ABC Dresden stoßen mit ihren Aktionen auf eine Akzeptanz
sowohl bei anderen Anarchisten als auch bei der Autonomen Szene. So unterstützen sich diese Linksextremisten
beispielsweise gegenseitig bei der Organisation von und der Mobilisierung für Versammlungen.
Dies ist durch ihre Verknüpfung zum Aktionsfeld »Antirepression« mit einhergehender
Ablehnung der »Repressionsorgane« Polizei und Justiz möglich. Die jährliche Wiederholung von
Veranstaltungen wie dem »Anarchistischen 1. Mai« und den »Anarchistischen Tagen« bestätigt die
Stellung der Anarchisten innerhalb der linksextremistischen Szene sowie ihre beständige Anziehungskraft.
Ein gleichbleibendes Aktions- und Mobilisierungsniveau auch im nächsten Jahr erscheint vor
diesem Hintergrund realistisch.