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Aktionsfelder und Aktionsformen

Die von Linksextremisten besetzten Aktionsfelder hängen von den jeweiligen politischen Rahmenbedingungen und aktuellen politischen Debatten ab. So waren im Berichtsjahr vor allem die Themenfelder „Antirepression“, „Antifaschismus“ und der Kampf gegen „Gentrifizierung“ und damit einhergehend um „Freiräume“ bestimmend.

Aktionsfelder

Für die linksextremistische Szene ist der „Antifaschismus“ zentrales Dogma. Hier sieht man sich in der Traditionslinie mit den Gegnern des historischen Nationalsozialismus in Deutschland. Dass der Faschismus in der heutigen Gesellschaft fest verankert sei, verdeutliche sich nach Auffassung der Szene durch die Mordserie des rechtsterroristischen NSU sowie durch Proteste im Zusammenhang mit dem Thema Zuwanderung in den Jahren 2015 und 2016. Die Anschläge in Halle (Sachsen-Anhalt, 2019), das Attentat eines hessischen Rechtsextremisten auf den Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke im Jahr 2019 sowie der von einem Rassisten in Hanau (Hessen) im Februar 2020 verübte Mord an neun Personen mit Migrationshintergrund bestätigten diese Wahrnehmung zusätzlich.

Aus Sicht der linksextremistischen Szene hat in den vergangenen Jahren ein „Rechtsruck“ in der Gesellschaft stattgefunden, der rechtsextremistische und rassistische Positionen in einem „ungeahnten Ausmaß“ gesellschaftsfähig gemacht habe. Demnach fänden sich derartige Einstellungen nicht mehr allein bei Neonationalsozialisten, sondern vor allem auch bei der Neuen Rechten. In diesem Kontext wurde insbesondere auch die Partei Alternative für Deutschland (AfD) als „faschistische“ und „rassistische“ Partei wahrgenommen. Linksextremisten beteiligten sich deshalb in den vergangenen Jahren regelmäßig an Protestaktionen gegen diese Partei und verübten Angriffe auf Parteibüros, Geschäftsstellen, Privatfahrzeuge und Wohnhäuser. Immer wieder kam es aber auch zu unmittelbaren Angriffen auf Mitglieder oder Sympathisanten der Partei.

Der von AUTONOMEN verwendete Begriff „Antirassismus“ steht in engem inhaltlichen Zusammenhang mit dem Themenfeld „Antifaschismus“. Mit antirassistischen Positionen von Linksextremisten ist stets auch eine fundamentale Kritik am demokratischen Rechtsstaat und dessen Institutionen verbunden. Staatlichen Akteuren wird z. B. mit Blick auf die deutsche und europäische Asylpolitik, zu der auch Abschiebungen gehören, ein systemimmanenter „institutioneller Rassismus“ unterstellt.

Der „Kampf gegen staatliche Repression“ ist ein klassisches Aktionsfeld von Linksextremisten, mit dem der demokratische Rechtsstaat delegitimiert werden soll. Dieser Kampf wird als ein gerechtfertigtes Mittel verstanden, um die angeblich herrschende „Gewalt des Systems“ aufzubrechen. Als Repressionsorgane werden alle Institutionen betrachtet, die der öffentlichen Sicherheit und Ordnung dienen und damit aus Sicht von Linksextremisten die Aufrechterhaltung des „herrschenden Systems“ sicherstellen.

Im Berichtsjahr hatte in diesem Aktionsfeld der Prozess gegen Lina E. für die bundesweite linksextremistische Szene eine herausragende Bedeutung. Das Strafverfahren gegen die vier Angeklagten wurde als Zeichen einer sich verstärkenden Repression des Staates („Verfolgungswelle“) gegen linke Strukturen wahrgenommen. Polizei und Justiz verfolgten demnach eine politische Agenda und würden mit ihren Ermittlungen das Narrativ einer „gefährlichen Linken“ bzw. eines „linken Terrorismus“ heraufbeschwören. Im Zusammenhang mit dem Prozess bildeten sich in der linksextremistischen Szene Solidaritätsstrukturen. Darüber hinaus fanden in diesem Kontext zahlreiche Demonstrationen, Solidaritätsaktionen und politisch motivierte Straftaten statt.

Im Berichtsjahr war der Kampf um „selbstbestimmte Freiräume“ und gegen soziale Verdrängungsprozesse in Städten ebenfalls ein Themenfeld der linksextremistischen Szene. In „Freiräumen“, wie etwa besetzten Häusern oder Jugendzentren, die dem staatlichen Zugriff entzogen und „selbstverwaltet“ werden sollen, wollen die Akteure ihre Vorstellungen von einem „besseren“ Leben umsetzen. Dort werden die für die politische Arbeit unerlässliche Infrastruktur bereitgestellt und der Informationsaustausch innerhalb der Szene unterstützt. Solche „Freiräume“ stellen für sie einen ersten Schritt zur Etablierung der von ihnen angestrebten „herrschaftsfreien“ Gesellschaft dar. Insofern werten sie Einschränkungen stets als Angriff gegen die Verwirklichung ihrer Zielsetzungen. Linksextremisten beanspruchen eine Hegemonie in „ihrem Viertel“, welche häufig in eine Ausgrenzung von Personen mündet, deren Wertvorstellungen nicht mit ihren eigenen übereinstimmen. Auch auf behördliche Maßnahmen, die sich gegen ihre „Freiräume“ richten, reagieren sie umgehend und aggressiv.

Linksextremisten befanden sich im Berichtszeitraum erneut in einer schwierigen Situation hinsichtlich der Corona-Pandemie. Es gelang ihnen erkennbar nicht, anschlussfähige eigene Positionen gegen die geltenden Corona-Maßnahmen zu entwickeln.

Mit Blick auf die zahlreichen, unter Beteiligung von Linksextremisten organisierten Proteste gegen „Corona-Leugner“ und „Querdenker“ haben sich deren szenetypischen Agitationsfelder und Aktionsformen sowie Angriffsziele nicht wesentlich geändert. Mit der Corona-Pandemie ergab sich lediglich ein weiterer Begründungszusammenhang, mit welchem Straftaten gegen den politischen Gegner und die Polizei gerechtfertigt und Forderungen untermauert werden sollten. In diesem Kontext stand auch die Mobilisierung gewaltorientierter Linksextremisten, welche gezielt im Umfeld oder im Nachgang zu den Anti-Corona-Demonstrationen die Auseinandersetzung mit dem politischen Gegner, der Polizei oder tatsächlichen wie vermuteten Rechtsextremisten suchten. Das Aktionspotenzial in diesem Themenfeld nahm im Vergleich zum Vorjahr stetig ab.

Die Autonome Szene strebt eine flächendeckende Aufklärung der Strukturen des politischen Gegners an. Zur personellen Identifikation wird gezielt Recherche, vornehmlich ausgehend von öffentlich zugänglichen Veranstaltungen unter Beteiligung vermeintlicher oder tatsächlicher Rechtsextremisten, betrieben. Die Datenerhebung kann sich anschließend auf Namen, Lichtbilder, Wohnorte und Gewohnheiten der vom „Outing“ Betroffenen erstrecken. Mit der öffentlichen Verbreitung privater Informationen durch Linksextremisten sollen die Betroffenen sozial geächtet und in ihrer beruflichen Laufbahn beeinträchtigt werden. Gewaltbereiten Linksextremisten werden damit mögliche Zielobjekte vorgegeben, insbesondere, wenn das „Outing“ mit eindeutigen Hinweisen oder Appellen verknüpft wird.

Diese Aktionsform wird vornehmlich von der autonomen „Antifa“ praktiziert, um Personen, die aus autonomer Sicht „rechts“ sind, in ihrem Wohn- und Arbeitsumfeld zu denunzieren, bloßzustellen und zu bekämpfen. Beim „Nazi-Outing“ publizieren Mitglieder der Antifa private Informationen der betroffenen Personen. Dies geschieht entweder mittels Flugblättern, die in der privaten oder beruflichen Umgebung der Betroffenen verteilt werden, oder über die Verbreitung dieser Informationen auf Internetplattformen.

Den Betroffenen werden elementare Persönlichkeitsrechte bereits aufgrund der ihnen unterstellten Gesinnung abgesprochen, da nach Auffassung Autonomer „Faschismus“ keine Meinung, sondern ein Verbrechen darstelle. Straftaten gegen die „geouteten“ Personen – auch Gewalttaten – werden billigend in Kauf genommen.

Die Überwindung der kapitalistischen Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung stellt für Linksextremisten ein grundlegendes Ziel dar, das inhaltlich mit allen anderen Themenfeldern verknüpft werden kann. Die fundamentale Kritik am Kapitalismus ist für sich allein jedoch nicht extremistisch. Der zentrale Unterschied zwischen einer radikalen und einer extremistischen Auffassung besteht nicht in der Ablehnung eines Wirtschaftssystems, sondern im Streben nach einer revolutionären Überwindung des demokratischen Rechtsstaates, der mit seinen „Repressionsorganen“ als Garant kapitalistischer Eigentums- und Produktionsverhältnisse verstanden wird. Die Verknüpfung von kapitalistischem Wirtschaftssystem und politischer Ordnung beruht auf marxistischen Faschismustheorien. Demnach münde in ökonomischen Krisen das Zusammenspiel von Finanzkapital und Staatsapparat zwangsläufig im Faschismus, der als „radikalste Form bürgerlicher Klassenherrschaft“ definiert wird.

Das Thema Klima ist für Linksextremisten strategisch wichtig, weil es eine hohe Anschlussfähigkeit an das nicht-extremistische Spektrum bietet. So instrumentalisieren Linksextremisten den Protest gegen die Nutzung fossiler Brennstoffe für ihre eigenen Zwecke. Sie wollen als Bündnispartner wahrgenommen werden, um über die Umweltproblematik ihre eigenen extremistischen Ziele – die Überwindung von „Kapitalismus und bürgerlichem Staat“ – einzubringen.

Aktionsformen

Öffentliche Aktionen von oder mit Beteiligung von Linksextremisten im Freistaat Sachsen © LfV Sachsen

Die Darstellung ihrer politischen Positionen in der Öffentlichkeit hat für Linksextremisten große Bedeutung. Deshalb bleibt auch die Beteiligung an bzw. die Durchführung von Demonstrationen, Kundgebungen, Aufzügen oder Gegenprotesten für die linksextremistische Szene besonders wichtig. Sächsische Linksextremisten nahmen im Berichtsjahr auch an überregionalen und bundesweiten Veranstaltungen teil.

Im Jahr 2022 wurden 96 öffentliche Aktionen von oder mit Beteiligung von Linksextremisten im Freistaat Sachsen registriert. Im Vorjahr waren es noch 127 Aktionen. Damit lag das Aktionsniveau weiterhin deutlich unter dem Niveau der Jahre vor der Corona-Pandemie. Unter Aktionen werden neben Demonstrationen und Kundgebungen auch Mobilisierungs-, Informations- oder Vortragsveranstaltungen des gesamten linksextremistischen Spektrums zusammengefasst.

Bei öffentlichen Demonstrationen ist zwischen angemeldeten und nicht angemeldeten Demonstrationen zu unterscheiden. Angemeldete Demonstrationen werden in der Regel in strategischen Bündnissen mit Nichtextremisten geplant und durchgeführt. Sie dienen zugleich der Werbung von Sympathisanten. Meist ordnen sich Linksextremisten in diesen Aufzügen weitgehend in das friedliche Demonstrationsverhalten zivilgesellschaftlicher Akteure ein. Ob es im Rahmen angemeldeter Demonstrationen zu Ausschreitungen kommt, hängt vom Kräfteverhältnis zur Polizei ab, aber auch davon, inwieweit die Anwendung von Gewalt vom bürgerlichen Spektrum toleriert wird.

Im Gegensatz hierzu zeigen nicht angemeldete Demonstrationen eine hohe Eigendynamik, die häufig zu gewalttätigen Ausschreitungen führt. Zu einer erhöhten Zahl linksextremistischer Straf- und Gewalttaten, die aus dem Demonstrationsgeschehen heraus begangen werden, kommt es vor allem dann, wenn gesellschaftlich relevante Themen, die den Kernbereich linksextremistischer Ideologie treffen, im Mittelpunkt stehen. Dies gilt auch, wenn der politische Gegner im öffentlichen Raum direkt angegriffen werden kann.

Die Anwendung von Gewalt ist in Teilen der linksextremistischen Szene – vor allem bei den Autonomen – allgemein akzeptierter Grundkonsens. Dies wird dabei im Wesentlichen zweifach legitimiert:

  • Zum einen handele es sich um Gegengewalt, mit der man sich gegen die ungerechtfertigte Gewaltausübung des Staates wehre. Denn dieser übe seinerseits mittels seiner Institutionen und Machtverhältnisse eine „strukturelle“ Gewalt gegenüber Menschen aus.
  • Zum anderen gebe es politische Anliegen, die den Einsatz von Gewalt schon grundsätzlich rechtfertigten. Diese Gewalt richtet sich im Wesentlichen gegen Sachen, kann aber zunehmend auch Personen, wie tatsächliche oder vermeintliche Rechtsextremisten, Polizeibeamte und Repräsentanten beispielsweise von Parteien (vornehmlich der AfD), zum Ziel haben.

Linksextremistisch motivierte Gewaltaktionen gehen vornehmlich von der Autonomen Szene aus. Autonome Militanz zeigte sich in Form gewalttätiger Proteste aus Demonstrationen heraus sowie in Form klandestiner und offen militanter Aktionen.

Taktisch nutzen die Akteure bei klandestinen Aktionen das Überraschungsmoment und die Anonymität. Dadurch wird für sie gleichzeitig das Risiko einer strafrechtlichen Verfolgung minimiert. Klandestine Aktionen sind häufig mit einem hohen Sachschaden verbunden. Für Linksextremisten stellen sie deshalb eine geeignete Aktionsform dar, um dem Staat oder dem politischen Gegner erheblich zu schaden.

Üblicherweise enthalten Tatbekenntnisse Angaben zur verfolgten Absicht der Täter, um auf diese Weise Aufmerksamkeit zu erreichen sowie politischen Einfluss auszuüben.

Die Anzahl klandestiner Aktionen reduzierte sich gegenüber dem Vorjahr signifikant.

Anzahl klandestiner Aktionen im Freistaat Sachsen

Anzahl klandestiner Aktionen im Freistaat Sachsen © LfV Sachsen

Klandestine Aktionen richteten sich vorrangig gegen den „Repressionsapparat“, gegen den politischen Gegner sowie gegen Firmen, die mit der Sanierung von Wohnhäusern oder dem Bau von Behördengebäuden, wie Polizeirevieren oder Justizvollzugsanstalten, beauftragt sind. Umfasst sind dabei auch tatsächliche oder vermeintliche Rechtsextremisten. Ziele sind aber ebenso Vertreter und Institutionen des demokratischen Rechtsstaates, wie Polizei, Gerichte, Justizvollzug sowie Einrichtungen politischer Parteien. Sie verkörpern für Autonome das staatliche Gewaltmonopol und gelten als Vertreter des ihnen verhassten Staates. Feindbilder werden dabei insgesamt sehr weit gefasst, was die breite Fächerung der Anschlagsziele zeigt. Schwerpunkt der klandestinen Aktionen war auch im Berichtsjahr eindeutig die Stadt Leipzig.

Anzahl klandestiner Aktionen im Freistaat Sachsen © LfV Sachsen
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