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Anarchistische Gruppierungen

Der Anarchismus ist eine politische Bewegung und Weltanschauung, die in ihrem Kern die Herrschaft von Menschen über Menschen sowie jede Art von Hierarchie als Form der Unterdrückung ablehnt. Das Ziel besteht in der Errichtung einer herrschaftsfreien Gesellschaft im Sinne einer Gesellschaftsordnung ohne Staat, Militär und Justiz. Der Anarchismus besitzt eine lange historische Tradition, deren Wurzeln bis in die frühe europäische Arbeiterbewegung zu Beginn des 19. Jahrhunderts zurückreichen. Im Laufe seiner Geschichte hat er eine Vielzahl von Strömungen hervorgebracht und verschiedene Facetten entwickelt, die bis in die Gegenwart hineinreichen.

Die anarchistischen Gruppierungen in Sachsen vertreten Positionen des Anarchosyndikalismus. Dabei sind fließende Übergänge in ähnliche oder verwandte Bewegungen oder Gruppen – wie den Autonomen – feststellbar. Dennoch weist der Anarchosyndikalismus einige spezielle Merkmale auf, durch die sich entsprechende Gruppen auch deutlich von den Autonomen unterscheiden. Diese wesentlichen Unterscheidungsmerkmale lassen sich vor allem anhand von Kriterien für die Bereiche Ideologie, Organisation und Strategie herausarbeiten.

Der Anarchosyndikalismus ist eine Form des Anarchismus, der auf die Übernahme der Produktionsmittel durch Arbeiterassoziationen abzielt. Dies beinhaltet die Idee einer gewerkschaftlichen Berufsgenossenschaft, die eine Kollektivierung der Produktionsmittel anstrebt. Der Staat soll zerschlagen werden und an dessen Stelle eine Föderation der Syndikate (basisdemokratische Gewerkschaften) treten. Das Syndikat wird als tragende Organisationseinheit des revolutionären Kampfes wie auch der Zukunftsgesellschaft erachtet. Diese Form des Anarchismus weist somit eine deutlich andere Qualität auf als jene der Autonomen. Zwar favorisieren auch Autonome ihrem Selbstverständnis entsprechend eine herrschafts- und gesetzlose Ordnung, jedoch ist es ihnen bislang nicht gelungen, eine feste theoretische Basis zu entwickeln.

Die anarchosyndikalistischen Gruppen sind in ein föderales Netzwerk integriert. Die örtlichen/regionalen Lokalföderationen (Gesamtheit der Syndikate an einem Ort) bilden die bundesweite Freie Arbeiterinnen – und Arbeiter – Union (FAU), welche ihrerseits als deutsche Sektion der Internationalen Arbeiterinnen Assoziation (IAA) angeschlossen ist.

Auch hier zeigt sich ein Unterschied zur autonomen Szene, die in verschiedene örtliche Strukturen und Kleingruppen zersplittert ist. Den verschiedenen Versuchen der Bildung einer überregionalen Organisation oder zumindest einer dauerhaften Vernetzung untereinander standen stets die den Autonomen eigene Organisationsfeindlichkeit sowie ideologische Differenzen entgegen.

Das Handeln der Anarchosyndikalisten richtet sich nach strategischen Prinzipien, die Mitte 2015 in einem neuen Grundlagentext der FAU formuliert worden sind.

Die neue „Prinzipienerklärung“ hat vor allem das taktische Ziel der Gewinnung neuer Mitglieder. Erwartet wird, dass die meisten potenziellen Anhänger eher mittels Reformen zur Änderung der Gesellschaft zu gewinnen seien als auf revolutionärem Weg.

In Sachsen sind es die anarchosyndikalistischen Kleingruppen FAU Dresden und Leipzig sowie die Anarchosyndikalistische Jugend Leipzig (ASJL), die fest in das bundesweite föderale Netzwerk integriert sind. Gemessen an ihrer geringen personellen Stärke sind diese Gruppierungen sehr aktiv. Besonders im Rahmen öffentlicher Aktionen versuchen die Akteure ihre extremistischen Zielsetzungen zu verbreiten und so neue Anhänger zu gewinnen. Indem sich die FAU vordergründig als gewerkschaftsähnliche Organisation darstellt, wird verschleiert, dass sie die Abschaffung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung anstrebt. 

Die ASJL wiederum zeigt eine Nähe zur gewaltbereiten autonomen Szene.

Die FAU-IAA ist die mitgliederstärkste anarchistische Gruppierung in Deutschland und ist in Sachsen spätestens seit Mitte der 1990er Jahre aktiv. Sie bezeichnet sich selbst als „Anarchistische Gewerkschaft“, die der Internationalen Arbeiterinnen Assoziation (IAA) angeschlossen ist. Ihre Finanzierung erfolgt über Mitgliedsbeiträge.

Seit 2014 stagniert die Mitgliederzahl im Freistaat Sachsen bei ca. 45 Personen, die sich in etwa gleichmäßig auf die Syndikate Leipzig und Dresden verteilen. Der starke Aktionswille, der sich in der Vielzahl eigener Veranstaltungen widerspiegelt, wird von nur wenigen lokalen Akteuren getragen. Die organisatorische Basis der sächsischen Mitglieder bilden örtliche Syndikate (lokale basisdemokratische Gewerkschaften) und Lokalföderationen in den Städten Leipzig und Dresden. Die 2015 aus der FAU-Initiative Chemnitz hervorgegangene FAU–Sektion Chemnitz konnte erneut nicht die Anforderungen für die Errichtung eines eigenständigen Syndikats erreichen.

Die nach wie vor aktivste Gruppe ist das Allgemeine Syndikat Dresden der FAU-IAA (FAU Dresden). Insbesondere durch die Verteilung von Flugblättern, die Organisation eigener Demonstrationen und Seminare oder über die Beteiligung an sozialkritischen, nicht extremistischen Protestdemonstrationen versuchte die FAU Dresden, ihren Bekanntheitsgrad und ihre Akzeptanz in der Öffentlichkeit zu erhöhen.

Themen der FAU sind vorrangig der Arbeitskampf und die Gewerkschaftsarbeit aus linksextremistischer Perspektive, die auch die FAU Dresden aktiv verfolgt. Mit der personell gering besetzten FAU-Sektion Basisgewerkschaft Nahrung und Gastronomie (BNG) ist sie seit Jahren im Dresdner Gastronomiesektor tätig und versucht Arbeitnehmer kleiner Gastro-Betriebe im Arbeitskampf zu unterstützen. Die FAU Dresden stellt mit Streiks, Betriebsbesetzungen und Pressearbeit typische anarchosyndikalistische Druckmittel in Aussicht. Der von ihr erstellte Branchenlohnspiegel dient einerseits als Grundlage für „Lohnverhandlungen“, andererseits als „Anreiz für Unternehmer_innen faire Löhne zu zahlen“. Teil ihrer Strategie ist die Bildung „gewerkschaftlicher Kollektivbetriebe“ mit Gemeinschaftseigentum, deren Branchenstandards durch die FAU Dresden kontrolliert werden.

Eigenen Angaben zufolge gründete sich die ASJL im November 2010. Sie gehört als Ortsverein zu der im Mai 2011 gegründeten Regionalföderation Ost der ASJ.

Ab Mitte 2007 entwickelte sich innerhalb der FAU-IAA eine Jugendvertretung, die auf dem FAU-Kongress 2008 eine AG-Jugend konstituierte. Hieraus bildeten sich schließlich regionale ASJ-Gruppen. Die Separierung der ASJL von der FAU-Leipzig im Jahr 2010 markierte keine Abgrenzung im inhaltlich-weltanschaulichen Sinne, sondern war Folge einer bundesweiten strukturellen Entwicklung.

Ihrem Selbstverständnis entsprechend ist die ASJL „ein bundesweit organisierter, außerparlamentarischer Jugendverband“, der „den Parlamentarismus nicht für das richtige Mittel [hält], um die gesellschaftlichen Bedingungen zu verbessern.“ Sie strebt eine „Welt ohne Nationen und Staaten [an], in der alle individuell nach ihren Bedürfnissen leben können […]“.

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